Mehr Kooperation wagen: Resiliente Lösungen für Krisenzeiten

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Kooperation und partnerschaftliches Verhandeln sind zentral, damit Unternehmen die Polykrise bewältigen und gestärkt aus ihr hervorgehen können. René Schumann plädiert für resilientes Verhandeln und einen Paradigmenwechsel in der Krisenbewältigung.

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Deutschlands und Europas Unternehmen stehen unter Druck wie noch nie seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Die mit dem Fall der Mauer vor mehr als drei Jahrzehnten begonnene Epoche einer weitgehend friedlichen Globalisierung mit immer weitergehender wirtschaftlicher Verflechtung und hohen Wohlstandsgewinnen für einen Großteil der Menschheit geht zu Ende. Die sprunghafte Verteuerung der Energiepreise und die unsichere Gasversorgung infolge des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine führen zu tektonischen Wettbewerbsverschiebungen gegenüber Standorten in Nordamerika und Asien. Jederzeit mögliche radikale Anti-Covid-Maßnahmen der chinesischen Führung mit flächendeckenden Lockdowns gefährden die Stabilität der fein gesponnenen Lieferketten und den Nachschub wichtiger Produkte. Der zunehmende Konflikt zwischen den USA und China sorgt angesichts der hohen Abhängigkeit einzelner Schlüsselbranchen vom chinesischen Markt für unkalkulierbare Risiken mit der Gefahr immenser Kollateralschäden für die Wirtschaft.

Zudem verschlechtern sich die Finanzierungsbedingungen für Europas Unternehmen. Die hohe Inflation bei gleichzeitig volatilen Preisen zwingt die EZB zur Kehrtwendung in ihrer Zins- und Liquiditätspolitik. Die Kreditkosten steigen und belasten die ohnehin schwache Binnennachfrage. Die Gefahr besteht, dass die deutsche Wirtschaft nach der Corona-Talfahrt 2020 in eine erneute Rezession abrutscht. Der Ruf nach Planungssicherheit ist unter diesen Bedingungen nur Ausdruck von Hilflosigkeit. „The new age of uncertainty“, titelte kürzlich der englische Economist.

Und als wäre das nicht schon genug, stehen die Unternehmen vor zusätzlichen Herausforderungen: dem Übergang zu Erneuerbaren Energien, neuen regulatorischen Anforderungen aus Brüssel und der Jahrhundertaufgabe der Digitalisierung. In der Tat, noch nie bestimmten so viele und so unterschiedliche Risiken, so viele und so unterschiedliche Aufgaben die Agenden der Unternehmen.

Das Wort von der Polykrise macht inzwischen nicht nur unter Wissenschaftlern, sondern auch im Management die Runde. Viele sehen sich im akuten Krisenmodus, in dem schnelle Lösungen hermüssen, denn die nächste Krise kommt bestimmt. Oft ist es ein drastisches Kostensenkungsprogramm, das kurzfristige Entlastung verspricht. Langjährige Lieferverträge werden ebenso gekündigt wie Betriebsvereinbarungen. Auf der anderen Seite werden Preise mit Kunden oder Vertriebspartnern neu verhandelt, denn Kosten sollen so weit wie möglich weitergegeben werden. Rette sich wer kann!

Doch eine solche Polykrise lässt sich nicht mit kurzfristig wirkenden Poly-Programmen bewältigen, die meist nur verbrannte Erde hinter sich lassen. Für die Polykrise gelten unverändert die strategischen Überlegungen des Resilienzprinzips: Wer die Krise nicht nur irgendwie überstehen, sondern vielmehr gestärkt aus ihr hervorgehen will, der muss wirklich zukunftsfähige Lösungen finden und nicht nur vorübergehendes Trouble-shooting betreiben. Das bedeutet, dass es zwar sehr wohl geboten ist, sämtliche vertragliche Beziehungen vor dem Hintergrund der dramatisch veränderten gesamtwirtschaftliche Bedingungen zu überprüfen und sogar in Frage zu stellen. Aber widerstandsfähig sprich resilient wird ein Unternehmen nur dann, wenn die neue vertragliche Vereinbarung mit den Partnern fair verhandelt wird. Das gilt für Konditionen genauso wie für die Risikoverteilung, die nicht zulasten eines vielleicht gerade etwas schwächeren Partners verschoben wird. Eigentlich wissen es alle: Partner in den Lieferketten sind in Zeiten von Ressourcenknappheiten mehr denn je aufeinander angewiesen.

Deshalb geht es heute darum, gegenseitige Abhängigkeiten nicht als Aufforderung zum Powerplay oder gar Vertragspokern um die letzten Zehntelprozentpunkte zu betrachten, sondern als gemeinsame Verantwortung. Wie viele Beispiele aus der Geschichte zeigen, erweist sich kooperatives Verhalten gerade in Krisenzeiten als überlegen gegenüber dem Weg, sich als Einzelner behaupten zu wollen, so stark man sich auch fühlen mag. Den erfolgreichen Weg zeigt ein großes Maschinenbauunternehmen, das aktuell Partnerschaften mit Zulieferern eingeht, um deren Abrutschen in die Insolvenz zu verhindern. Das macht es natürlich nicht aus reinem Altruismus, sondern sichert sich so deren Innovationspotenzial für die Zukunft, was es selbst stärkt gegenüber seinen Konkurrenten.

Nicht zuletzt gilt das auch für die ESG-Themen, die grundsätzlich nur in einem kooperativen Geist entlang komplexer Liefer- und Produktionsketten überhaupt erfolgreich bearbeitet werden können. Ein anderes Beispiel ist die Kreislaufwirtschaft, die viele Unternehmen zu Recht in ihr Geschäftsmodell integrieren. Wer sich grünen Strom für die CO2-freie Stahlherstellung von einem Windenergieanbieter vertraglich sichert und seinerseits quasi im Gegenzug den Stahl für neue Offshore-Windparks liefert, der weiß, dass dieses Modell nur im Rahmen stabiler, fair ausgehandelter Partnerschaften funktioniert.

Dies ist nicht der Ruf nach einer wettbewerbsfreien Wirtschaft, in der feste Claims dauerhaft vertraglich abgesteckt werden. Sondern dies ist das Plädoyer für einen Paradigmenwechsel in der Krisenbewältigung: weg vom aktionistischen Denken hin zu resilientem Verhandeln. Kooperationen schließen Wettbewerb nicht aus, im Gegenteil: Der Automobilhersteller, der seinen innovativen Zulieferer rettet, wird langfristig gestärkt im Wettbewerb. Und wer jetzt neue Verträge verhandelt, der muss wissen: Er verhandelt zugleich darüber, ob und unter welchen Bedingungen Deutschland weiter ein Industriestandort bleiben wird.

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