DB muss mit Angebot in die Offensive gehen

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Nun ist es offiziell: Ab heute Nacht streiken die Lokführer der Lokführergesellschaft GdL aufgrund gescheiterter Verhandlungen mit der Deutschen Bahn. Unser Geschäftsführer René Schumann bewertet die Geschehnisse in der Deutschen Verkehrs-Zeitung (DVZ) und Rail Business aus Sicht eines Verhandlungsprofis.

DB muss mit Angebot in die Offensive gehen

René Schumann, Geschäftsführer des Beratungshauses Negotiation Advisory Group, zu den festgefahren Verhandlungen zwischen Deutscher Bahn und Lokführergewerkschaft GDL

Herr Schumann, Ihr Unternehmen berät Leute, die schwierige Verhandlungen führen müssen, entwickelt Strategien, coacht die Verhandlungsführenden. Wer verhandelt besser: die Gewerkschaft GDL oder die DB?

Verhandlungstechnisch hat sich die GDL mit Claus Weselsky bilderbuchmäßig aufgestellt. Die Art, wie verhandelt wird, ist extrem professionell. Gleichzeitig sieht man eine Deutsche Bahn, die nicht so richtig weiß, wie sie damit umgehen soll.

Was macht aus Ihrer Sicht einen erfolgreichen und gut aufgestellten Verhandler aus?

Gute Taktik. Weselsky hat es geschafft, einen Frame – wie man es in der Fachsprache nennt – aufzubauen, eine Art taktisches Spielfeld. Darin ist die Deutsche Bahn nicht Stürmer, nicht Mittelfeld, sie agiert in der Verteidigung.

Konkret?

Weselsky wählt eine kämpferische Form der Kommunikation. Er stellt das Verhalten der Gegenseite als inakzeptabel dar, spricht von Täuschung. Er positioniert die Deutsche Bahn als Übeltäter, schlüpft in die Opferrolle und rechtfertigt damit seine Verweigerungshaltung. Er holt sich die Legitimation der Basis per Urabstimmung. Er nutzt die DB-Kunden als Hebel, die wissen, dass sie die Leidtragenden eines Streiks sein werden. Weselsky operiert mit einfachen Botschaften: Die Schuld bekommt die Deutsche Bahn, weil sie nicht einlenkt. Das Ganze geschieht im Vorfeld einer Bundestagswahl. Weselsky ist als Verhandlungsführer gut, weil er die Chancen erkennt und zu nutzen weiß.

Die Arbeitgeberseite wirft der GDL unsolidarisches Verhalten und damit auch Gefährdung des wirtschaftlichen Erholung vor. Ist das nicht ein ebenso schweres Geschütz?

Der Appell an die Solidarität basiert auf dem Win-Win-Ansatz. Der funktioniert aber nur, wenn beide Seiten ein gemeinsames Ziel wie langfristige Profitabilität anstreben und nur über den Weg dahin nicht einig sind. Weselsky geht es aber nicht um das Wohl beider Seiten, sondern um das seiner Leute. Zudem bringt er noch die DB argumentativ in die Defensive, indem er ihr Versäumnisse beim Schutz des Zugpersonals vor Aggressionen vorwirft. In einer solche Situation führen Appelle des Arbeitgebers, Verhandlungen wieder aufzunehmen, geradewegs in die Verliererrolle. Das ist die absolute Offenbarung einer Schwäche.

Angeblich hat die Arbeitgeberseite gleich zu Anfang einen Kostenrahmen vorgegeben, innerhalb dessen sich die GDL-Forderungen bewegen dürften.

Die Deutsche Bahn ist stark gestartet, hat aber Stärke eingebüßt. Jetzt hofft die Verhandlungsführung, dass sich die GDL „ent-emotionalisiert“, um wieder in rationale Verhandlungen einzutreten. Nun ist Ihr Geschäft, in Verhandlungen diejenigen zu unterstützen die sich tendenziell in der schwächeren Position befinden.

Was müsste denn die Deutsche Bahn konkret tun?

Sie muss für Rückendeckung sorgen, die darin besteht, dass sich der Eigentümer aus den Verhandlungen heraushält – auch wenn der Wahlkampf anläuft. Der Vorstand muss einen Plan B für den Fall beschließen, dass es nicht zu einer Einigung kommt. Darin sind Gegenmaßnahmen aufzuführen; der Plan sollte auch nicht geheim gehalten, sondern öffentlich gemacht werden. Und dann muss die Arbeitgeberseite wieder in die Offensive gehen.

Wie könnte das glaubhaft gelingen, wenn man nichts in der Hand hat?

Die DB hat durchaus Optionen. Sie muss klare Forderungen erheben. Diese Forderungen sind mit einem guten, aber nicht dem besten Angebot zu flankieren. Es wird zeitlich begrenzt und verfällt, wenn es zu Streiks kommt. Ziel ist es, innerhalb der GDL Diskussionen zwischen kompromisswilligen und konfrontationsbereiten Kräften anzufachen. Zusätzlich kann die DB über die öffentliche Meinung Druck ausüben, indem sie ein Feindbild aufbaut: GDL als treibende Kraft hinter einem Streik.

Sehen Sie auf der Arbeitgeberseite Leute, die Weselskys Verhandlungsstärke besitzen?

Es braucht ein Verhandlungsteam, das über ein uneingeschränktes Mandat des Vorstands verfügt. Ein Top-Entscheidungsträger wie Martin Seiler sollte nicht persönlich involviert sein – wer soll sonst rational entscheiden können, wenn alle emotionalisiert aus der Verhandlung kommen?

Warum sollte die GDL beste Angebote der DB annehmen, wenn sie Chancen auf volle Durchsetzung hat?

Dann hilft noch ein Deal, der nur hinter verschlossenen Türen ausgehandelt werden kann. Hinterher muss es so aussehen, dass die DB an die Grenze des Machbaren herangegangen ist und Weselsky als Gewinner vom Platz geht. Alternativ könnte die DB versuchen, einen Deal an ihm vorbei zu machen. Das wäre aber riskant und würde in der konkreten Situation nicht funktionieren.

Quelle: Rail Business 23/21, Veröffentlichung 09.08.2021, DVV Media GmbH

Das Interview wurde auch online auf der Deutschen Verkehrs-Zeitung (DVZ) veröffentlicht.


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